An vielen Seilen, doch keine Marionette – Charlotte de la Bretèque

Faszinierende Akrobatik an einer Vielzahl von Vertikalseilen, den so genannten Multicordes – das ist die Welt der jungen Französin Charlotte de la Bretèque. Die quirlige Artistin, die Mitte 20 ist, hat ihre Arbeitsgeräte selbst erfunden. Jedenfalls ist ihr nicht bekannt, dass vor ihr schon einmal jemand die Multicordes verwendet hätte.

Nach ihrem Abitur war Charlotte drei Jahre Absolventin der in Brüssel ansässigen École Supérieure des Arts du Cirque (ESAC). Nachdem sie dort die Basisausbildung (Theater, Tanz, Artistik und noch manche andere Disziplin) erhalten hatte, waren die Multicordes die allererste Nummer, die sie an der Schule einstudierte. Nach der ESAC begann sie mit ihrer Arbeit als Artistin, und als solche ist sie bis heute schon sechs Jahre tätig.

Bei ihrer Berufswahl spielte das Vorbild des französischen Clowns, Schauspielers und Filmregisseurs Pierre Étaix (geb. 1928), für den wiederum Charlie Rivel das große Idol gewesen war, eine sehr große Rolle. Als Kind sah Charlotte Pierre Étaix, den größten französischen Clown, immer gerne und fasste den Entschluss, später auch einmal in der Welt des Zirkus und des Varietés zu arbeiten. Da sie bereits in ihrer Kindheit immer einen großen Bewegungsdrang hatte (sie machte oft Handstand, kletterte auf Bäume, sprang von einem Felsen zum anderen, wenn sie auf dem Land war), meldeten ihre Eltern sie mit 10 Jahren auf einer Zirkusschule an. Dort trainierte Charlotte zunächst nur eine Stunde pro Woche und auch das nur spielerisch, doch im Lauf der Zeit wuchs der Umfang des Trainings immer mehr. Als die angehende Artistin dann mit 21 Jahren die ESAC hinter sich hatte, waren schon wichtige Kontakte zu Varietés und Zirkussen geknüpft.

So blieb es nicht aus, dass das große Talent zahlreiche Erfolge feierte und viele Preise gewann. Von all diesen Preisen sind ihr am wichtigsten: der 1. Preis bei der Newcomershow im Varieté Krystallpalast Leipzig und der Publikumspreis beim Wiesbadener Zirkusfestival (dort jedoch mit einem anderen Akt als den Multicordes). Nach ihrem aktuellen Engagement im Bochumer Varieté et cetera wird Charlotte in den GOP-Varietés von Bad Oeynhausen und Münster gastieren. Ihre steile Karriere wird sicherlich noch lange weitergehen.

Ihren Beruf übt Charlotte de la Bretèque deutlich sichtbar mit großer Freude aus, möchte jedoch damit aufhören, bevor er ihr zur Last wird und keinen Spaß mehr macht. Ihr Selbstbewusstsein musste sie nach ihren eigenen Angaben erlernen. Das beste Training dafür sei es, jeden Tag vor vielen Menschen aufzutreten und somit langsam Sicherheit zu erlangen. 2010 hatte Charlotte ihr erstes Engagement im et cetera und war damals noch nicht sehr selbstbewusst, wie sie schildert. Auf der ESAC habe sie sich nur auf ihren Akt konzentriert, doch jetzt sei sie viel offener und selbstbewusster, sagt sie: Sie könne während ihrer Nummer in das Publikum schauen und lachen. Und wer Charlotte einmal selbst in einer Show erlebt hat, erkennt, wie gut das bei den Zuschauern ankommt.

Sie kann sich durchaus auch eine andere Nummer als die mit den Multicordes vorstellen. Mittelfristig strebt sie eine Soloshow an und nicht mehr nur eine einzelne Nummer. Doch immer möchte sie nicht Artistin bleiben, sondern eine Familie gründen, auch studieren (Literatur, Philosophie), da sie vielerlei Interessen hat und zahlreiche Aktivitäten pflegt. Auch will sie nicht nur in Varietés arbeiten. Charlotte de la Bretèque, die eine überaus natürliche und freundliche Ausstrahlung hat, präsentiert sich als junge Frau mit einem Horizont, der weit über die Welt von Zirkus und Varieté hinausgeht.

Mario Kandil